Mittwoch, 23. Oktober 2013

Rat an Auswanderer - heute noch aktuell - by Ferdinand Kürnberger, 1855


Hallo,

ich liebe Bücher und natürlich habe ich mehr als einen Meter Bücher über Kanada und Auswandern nach Amerika gesammelt. Besonders interessant finde ich das Buch „Der Amerika-Müde“ von Ferdinand Kürnberger aus dem Jahr
Ferdinand Kürnberger
1855. Aus diesem Buch zitiere ich immer wieder den Abschnitt „Rat an Auswanderer“.


Meiner Meinung nach könnte der Text auch heute geschrieben sein. Zu dieser Ansicht kam ich im Laufe der Jahre, als ich immer wieder die Klagen und Nörgeleien Deutscher in den Internetforen gelesen habe.Veröffentlich habe ich diesen Text bereits in meinem ersten Buch 2003. Viel Vergnügen beim Lesen dieser Standpauke an Auswanderer.

Der Amerika-Müde 

Ferdinand Kürnberger, 1855, Insel Taschenbuch 942, 1986, S. 163 ff.

Rat an Auswanderer

 

Meine Herren! Wir alle hatten einen Hügel, von dem unsre Eltern, Geschwister und Freunde zum letzten Male ihre Taschentücher schwenkten; auch wir knüpften die unsrigen an die Wanderstöcke, das wehmutsvolle Geflatter ging hin und her, wir glaubten nicht, daß es ein Ende nehmen könne. Als es aber doch zu Ende war, da rafften wir uns mannhaft empor und nun hieß es tapfer: Deutschland ade!


Wir versprachen uns, als neue Menschen die neue Welt zu betreten. Wie, meine Herren, halten wir so Wort? Wehen die verweinten Taschentücher noch einmal? Wo bleibt der herzhafte Abschiedsruf: Deutschland ade? Ha, sind wir Auswanderer, die nicht ausgewandert sind? Das verhüte Gott, meine Herren, denn dann wären wir die unglücklichste Bastard-Gattung von allen Gattungen des Tierreiches.


Verstehen Sie mich recht, meine Herren. Sie haben keinen jener falschen Propheten vor sich, welche den perfiden Gemeinplatz ausbreiten, der Deutsche müsse sich möglichst schnell yankeesieren, um sein Glück zu machen. Nichts weniger. 

Ich beschwöre Sie sogar:schärfen und schleifen Sie alle Spitzen Ihrer Nationalität wie ein chirurgisches Besteck, und zerfleischen Sie jeden damit, der Ihnen zu nahe tritt. Ihren deutschen Tiefsinn stemmen Sie entgegen der routinierte Flachheit, Ihr deutsches Gemüt der höflichen Herzenskälte, Ihre deutsche Religion dem trockenen Sektenkram, Ihr deutsches Persönlichkeitsgefühl dem herdemäßigen Parteitreiben, Ihr deutsches Gewissen dem Humbug und Yankee-Tricke, Ihre deutsche Sprache dem Mißlaut und der Gedankenarmut, Ihr deutsches Weinglas der Mäßigkeitsheuchelei, Ihre deutsche Sonntagslust dem Sonntagsmuckertum Amerika’s. Das alles halten Sie fest; und hätten sie bei Neufundland oder zu Sandy Hook bis zum letzten Faden Schiffbruch gelitten, ihre deutsche Sitte müßten Sie doch gerettet haben, oder ich wünschte, Sie wären mit zu Grunde gegangen.

Aber eins werfen Sie über Bord, wie die ausgediente Matratze eines Zwischendeckbettes - die deutsche Handwerks-Pedanterie. Sie könnten den Amerikanern eben so gut Ihre Fleißzettel aus der Schule vorzeigen, als daß Sie versessen sind auf das Handwerks, worin Sie Ihr „Meisterstück“ gemacht. Die europäische Zunft war nur eine Schule des Handwerks; die Schule ist durchgemacht und nun fallen die Zünfte in Europa selbst, um wie viel mehr in Amerika. Wissen Sie, was hier Ihr Handwerk ist? Jedes Werk Ihrer Hand. Die Sache hat hier ihren ursprünglichen Wortbegriff. Finden Sie Ihr Handwerk im gewohnten europäischen Stile hier - gut; wo nicht, so ergreifen Sie das verwandte und vom verwandten wieder das verwandte, und durchlaufen Sie den ganzen Kreis wie eine Windrose, bis Sie den Punkt gefunden haben, auf dem schön Wetter wird.

So kommt der Amerikaner fort; das nennt er „sein Leben machen“. Nur kein Leben auf  halbe Diät! Überlassen Sie das den Kranken und Alten. Hier ist man jung und gesund und verwandelt sich zehnmal des Tags, unternimmt alles und verzweifelt an nichts. Das erste Laster in Amerika ist die Zufriedenheit. Beharren Sie in keinem Zustande, der Sie nicht ganz befriedigt. Hüten sie sich überhaupt vor dem deutschen Triebe des Beharrens. Warum erschreckte Sie das Wort Tagelöhner so außerordentlich? Weil Sie es mit deutschem Ohre hörten, weil Sie sich unwillkürlich ein Beharren in die Taglöhnerei dachten. Behüte der Himmel! Tagelöhnern Sie ein paar Wochen, bis einige Dollars erspart sind zu der nächstbesten Unternehmung, sparen. Sie bei dieser ein größeres Sümmchen zu einer noch vorteilhafteren Geschäftsart und fahren Sie so fort in diesem Staffelbau, es wird schneller gehen, als Sie denken.

Vielleicht eben so schnell, als ob Sie nach Deutschland zurückkehrten und sich in die alten ausgefahrenen Geleise wieder einkarreten. Abgesehen, daß Ihre Ansprüche auf jene gesetzliche Retourfahrt lange nicht so liquid sein dürfen, als Sie sich vorzustellen scheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran hat, der mache es geltend - zum Scheine wenigstens - der Erfolg wird dieser sein: der Schiffsmakler wird versuchen, Ihnen ein paar Dollars Abstandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem Sie so viel als möglich gesteigert haben, und nun haben Sie Reisegeld! Gehen Sie damit nach Pennsilvanien oder Ohio und ich will „dammed dutch“ sein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ihnen hier versagt. Das ist der Gebrauch, den Sie von jener Mitteilung machen können. Ich wollte, Sie hätten dieselbe, anstatt teutonischen Rückwärts-Chorus anzustimmen, gleich selbst in diesem Sinne aufgefaßt; es wäre ein hübsches Zeichen gewesen, daß Sie vom amerikanischen Geiste bereits ein paar Tropfen Taufwasser empfangen. -

Und nun, meine Herren, lassen sie mich noch einmal Abschied nehmen. Nächste Woche finde ich vielleicht manchen von Ihnen nicht mehr hier, aber nicht weil er nach Deutschland zurückkehrte, sondern weil er nach Taglohn aus ist - wenn ich mir’s schmeicheln darf. Wer es immer sei, der sich zu diesem Anfang entschließen wird - er sei beglückwünscht! Und wer es nicht tut, der störe mindestens den anderen nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine ist ihm ein Dienst. Diener und Dienstherr speisen  an demselben Tische und jeder spuckt genau in dieselbe Distanz vor sich aus - ein äußerer Gradmesser ihres inneren Selbstgefühls. Nur der Deutsche ist´s, der seinen Landsmann mißachtet, oder der sich selbst erniedrigt und verknechtet fühlt, und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn jemand mit der Schaufel in der Hand betrifft, der ihn mit der Feder hinterm Ohr gekannt hat. Fluch diesem Unsinn! 

Mehr zu Ferdinand Kürnberger im nächsten Blogbeitrag.

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